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Klangraum Kirche
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16.05.2022

Rezension: Orgelmusik in Zeiten von Corona (2021)

Reflexion der Zeit der Corona-Pandemie in 17 Orgelkompositionen, Carus-Verlag Carus 18.220, 59,95 Euro

Dieser Tage mag es fast vergessen scheinen, – kaum ein Jahr ist es her, – wie Musik im öffentlichen Raum einmal fast unvorstellbar schien. Unter dem Eindruck der Corona-Pandemie suchten viele Musiker*innen ein anderes kreatives Ventil, um diesen Mangel an Kommunikation mit dem Publikum und diese Situation des völligen Ausgeliefertseins zu kompensieren. Besonders schwierig traf die Situation auch die Kirchenmusik, dazu noch im „Jahr der Orgel“ 2021. Dies dachte sich auch der Deutsche Musikrat in Gemeinschaft, die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelischen Kirche, woraufhin man sich kurzerhand entschied, ein Projekt mit Auftragskompositionen für das Instrument ins Leben zu rufen, gefördert darüber hinaus noch durch den Bund. Im Rahmen dieses Projektes erschien dann auch bei Carus ein Band mit 17 Kompositionen von 17 unterschiedlichen Komponist*innen. – Ein durchaus bunter Strauß an zeitgenössischer Musik, von mal mehr oder weniger bekannten Namen.

So etwa die eigentlich eher als Musikwissenschaftlerin bekannte Dorothea Hofmann, die mit ihrem Stück „im Donner der Zeit“ eine wirklich hochkarätige und ambitionierte Komposition zum Band beiträgt, in der das Fragmentarische wunderbar zu einem Ganzen verschmilzt. Gleichsam keinerlei Erklärung bedarf Dominik Sustecks Orgelmesse, einem für Susteck so typisch kurzweiligen Zyklus aus Reflexionen über die liturgische Botschaft. Schon fast typisch stellt Susteck hinter das Credo in unum deum ein ganz großes musikalisches Fragezeichen. Auch Eckhart Kupers originelle Verschmelzung eines Chorals mit einem argentinischen Tango hat man in dieser Art weder ironisch, noch ernst auf diese Art gesehen oder gehört. Auch Maximilian Schnaus‘ surreal anmutende „Simultanmusik“ bildet einen echten Höhepunkt des Bandes, in dem es nur so von Zitatflicken wimmelt, die hier zu einem klanglich wunderbar homogenen Ganzen verschmelzen, das sowohl an Nostalgie anknüpft wie auch den Hörern völlig fremde Welten offenbart. Die sind gleichsam die wohl interessantesten Stücke des Bandes, während andere wiederum nicht wirklich so gut auf der Orgel funktionieren, wie sich das die eine oder andere Komponist*in vorstellt.

„Inexorable Transition“ („Unerbittlicher Übergang“) von Nicole Johänntgen ist so ein Fall. Klar merkt man hier zum einen die Einflüsse der Jazzsaxofonistin und auch ahnt man, was der Titel musikalisch für das Stück genau zu bedeuten hat, andererseits laufen viele der idiomatischen Anleihen an Klaviermusik wie Achteltremolos (Murky-Bässe) und Triolenfiguren auf der Orgel klanglich wie idiomatisch ziemlich ins Leere. Wo die dekonstruktive Idee hinter diesem Stück prinzipiell nachvollziehbar wird, auch der Gedanke, dass ein nicht enden wollende Überleitung in der Musik letztlich immer eine ziemlich aufrührende Hörerfahrung ist, so bleibt „Inexorable Transition“ seiner Grundidee eigentlich nicht wirklich treu. Auch Maximilian Wallraths musikalisch eher konservative „Fantasia Corona“ offenbart eine generelle Tendenz in dem Band, auch eine häufig zu beobachtende Tendenz der musikalischen Avantgarde im Allgemeinen: Dass viele Komponist*innen sich dazu verleiten lassen, die eigenen Stücke zu sehr zu erklären. Wo generell gegen programmatische Musik nichts einzuwenden wäre, so ist doch gerade augenscheinlich, dass weder Susteck noch Schnaus der Verlockung erliegen, die noch gar nicht bei den Hörer*innen reifizierten Klanggestalten erklären zu wollen, was den Kompositionen sehr zu Gute kommt, gerade, wenn es sich um einen ohnehin schon symbolisch aufgeladenen Topos wie einen Messzyklus handelt.

Vielleicht ist die Not, alles zu sehr erklären zu müssen, auch ein Corona-typisches Phänomen. Denn es ist ja nur menschlich, angesichts solcher übermenschlichen Herausforderungen, Leid und Chaos eine beruhigende, kraft- und orientierungsspendende Erklärung für die Verortung des eigenen Selbst zu finden. Eine Frage, die dem christlichen Glauben zutiefst vertraut ist im Übrigen. Mein Plädoyer wäre daher indes, angesichts der neuen, verdrängenden Herausforderungen vielleicht nicht ganz die Erinnerungen an Corona zu verdrängen, wie schwierig diese doch für einige gewesen sein mögen. Viele haben geliebte Menschen an der Krankheit verloren und waren von großen existentiellen Ängsten und Sorgen geplagt. Dieses Trauma gesellschaftlicher Gesamtheit nicht unter den Teppich zu kehren, diktiert der Anstand wie auch die Vernunft, wie ich finde. Der vorliegende Band liefert ganz unterschiedliche in Musik kondensierte Reflexionen über die Zeit der Pandemie, spiegelt auf jeder Seite, – ganz gleich, was man musikalisch von dem einen oder anderen Beitrag halten mag, – wirklich gelungen und authentisch das so fremde Lebensgefühl dieser Jahre wieder. Aus diesem Band das eine oder andere Stück einmal in das liturgische Spiel oder ein Andachtskonzert zu integrieren, kann ich daher nur empfehlen.

Franziska Classen