Der Name Oelinghausen hat in der Orgelszene einen ganz besonderen Klang. Denn in dieser malerisch zwischen Herdringen und Holzen (Sauerland) gelegenen Gemarkung befindet sich in der weitgehend original erhaltenen gotischen Klosterkirche St. Petri eine der berühmtesten barocken Orgeln Westfalens. Seit ihrem (Wiederauf-) Bau im Jahr 1599 und den von Johann Berenhard Klausing zwischen 1713 und 1717 vorgenommenen Erneuerungs- und Erweiterungsarbeiten ist der Pfeifenbestand aus dieser Zeit fast unverändert geblieben. 2019 übernahm Johannes Krutmann die Leitung der Reihe „Musica Sacra Oelinghausen“, die traditionell an Pfingstsonntag startet. Burkhard Schäfer sprach für organ mit dem Kirchenmusiker.
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Herr Krutmann, wie und wann wurde Ihre Liebe zu Oelinghausen und der dortigen Klausing-Orgel in der Kirche St. Petri geweckt?
Oelinghausen spielt in meiner Vita eine wichtige Rolle. Die Faszination für das Instrument Orgel bildete sich hier, als ich als Kind in den Sonntagsmessen die Orgel hören und den Organisten beobachten konnte. Als vor einigen Jahren die Anfrage kam, ob ich mir vorstellen könne, die Konzertreihe in Oelinghausen zu betreuen, musste ich deshalb nicht lange überlegen. Meines Wissens ist „Musica Sacra Oelinghausen“ die älteste Orgelkonzertreihe in Westfalen, denn die ersten Konzerte fanden dort bereits 1968 statt.
Wie kam es dazu, dass diese Reihe ins Leben gerufen wurde?
Begründer der Reihe war Professor Wilfried Michel (1938–97). Er hatte unter anderem in Wien Orgel studiert und wohnte seit 1964 in einem Seitentrakt des Klosters. Er war auch der Interpret der ersten Schallplattenaufnahme, die dann viele Jahre lang das weit beachtete Aushängeschild der Oelinghauser Orgel war. Michel war nicht nur als Organist, sondern auch als Komponist renommiert. Zudem war er ein begabter Kommunikator, der Menschen für die Orgel begeistern konnte. Nicht zuletzt aus dieser Begeisterung heraus hat sich 1983 der Freundeskreis Oelinghausen e.V. gegründet.
Hat sich das „Image“ von Oelinghausen und seiner Orgel nach Gründung des Vereins geändert? Bekannt war die Orgel dort ja schon vorher …
Der Freundeskreis hat sehr viel bewirkt, vor allem, was die finanzielle Unterstützung des Klosters, die Pflege der Gebäude und Liegenschaften sowie die denkmal-gerechte Restaurierung der historischen Orgel durch die Firma Kuhn im Jahr 2002 betrifft. Das Instrument war bereits in den 1960er Jahren restauriert worden. In Westfalen wurde seinerzeit viel altes Material zerstört, meist hat man lediglich die Disposition und das Gehäuse wiederhergestellt. Deshalb ist es wirklich ein Glücksfall, dass in Oelinghausen fast der gesamte Bestand an uraltem Pfeifenmaterial vom 15. bis zum 18. Jahrhundert so vollständig und einzigartig erhalten geblieben ist. Mittlerweile gibt es auch im Umfeld exemplarische Restaurierungen wie zum Beispiel in Borgentreich, Corvey, Marienmünster oder Ostönnen. Für mich persönlich bleibt die Oelinghauser Orgel aber nach wie vor unverkennbar und auf ihre Weise singulär.
Wie ging es nach dem Tod von Wilfried Michel weiter mit der Konzertreihe? Haben sich immer kompetente Leitungspersönlichkeiten gefunden?
Es gab immer wieder Zeiten, in denen Mitglieder des Freundeskreises sich darum gekümmert und im Zuge dessen auch hervorragende Leute nach Oelinghausen geholt haben – wie etwa Tobias Wittmann aus Voßwinkel, der in Stuttgart eine überregionale Kirchenmusiker-Tätigkeit ausübt. Wittmann ist ein kreativer Organist und ein glänzender Improvisator. Zusammen mit Mitgliedern des Freundeskreises hat er „Musica Sacra Oelinghausen“ eine Zeit lang betreut. Peter Volbracht, der seit 2001 Leuchtturm-Kirchenmusiker an St. Petri in Hüsten ist, hat diese Funktion ebenfalls mehrere Jahre ausgeübt. Vor etwa vier Jahren hat man dann mich angesprochen, und seither darf ich das – mit Pandemie-Unterbrechungen – zu meinem Verantwortungsbereich zählen.
Aufgrund von Renovierungsarbeiten in der Kirche St. Petri konnte letztes Jahr die 850-Jahr-Feier von Kloster Oelinghausen leider nicht stattfinden. Wie sehen nun Ihre Pläne für das Jahr 2025 aus, was die Reihe betrifft?
Generell gilt: Alle Künstlerinnen und Künstler müssen mit den Besonderheiten des Instruments und der Alten Musik vertraut sein, sonst ergeben sich nicht zuletzt durch die Tastenumfänge und die fast mitteltönige Temperierung schnell Probleme. Meistens sind die Programme der „Musica Sacra“-Reihe daher sehr charakteristisch. Unsere Erfahrung zeigt, dass das Publikum dankbar ist, wenn die Werke nicht einfach nur gespielt, sondern vorab kurz erläutert oder anmoderiert werden. Außerdem fördert diese Art der Musikvermittlung den Kontakt mit den Zuhörenden. Auch für die Organisten kann das sehr angenehm sein, weil sie dann in Ruhe umregistrieren können – was bei einer Springlade schon recht arbeitsintensiv sein kann.
Johannes Krutmann, geboren 1964, ist Dekanatskirchenmusiker im Dekanat Hellweg, Orgelsachverständiger der Erzdiözese Paderborn sowie Kirchenmusiker und Chorleiter an der Liebfrauenkirche in Hamm. Außerdem leitet Krutmann verschiedene Konzertreihen wie z. B. Orgeltriduum, Internationale Orgeltage und Orgel plus Hamm.
Musikvermittlung gibt es sonst eher im Bereich der neuen Musik. Wie sind Ihre Erfahrungen damit in Oelinghausen?
Ich bin bei einer Orgelexkursion in Oelinghausen – das ist inzwischen schon bald 15 Jahre her – einmal so weit gegangen, nicht nur die Stücke, sondern auch Interpretationsansätze und die Registrierungen ins Programm zu schreiben, um für Interessierte einen Bezug herzustellen: Was klingt denn da eigentlich? Was höre ich jetzt? Wie klingt eine Rohrflöte? Wie ein Prästant? Ich möchte so Lust auf Klänge machen, indem sie nachvollziehbar werden. Und das hat sehr vielen Freude gemacht. Ich bin tatsächlich nach zehn Jahren noch auf dieses Konzert angesprochen worden, als mir jemand sagte, dass er so ein Format vorher noch nie erlebt hat und er sich daraufhin auch im reiferen Alter noch dazu entschlossen hat, Orgelunterricht zu nehmen. Darüber freue ich mich natürlich, wenn ich auf diesem Weg von meiner Begeisterung etwas an andere weitergeben kann.
Was ist der besondere, über die Musik hinausreichende Geist von „Musica Sacra Oelinghausen“?
Ich denke, in dieser Reihe spielt tatsächlich einiges zusammen. Viele Besucher kommen nach Oelinghausen und erfahren zunächst einmal, hier an einem ganz besonderen Fleckchen Erde zu sein, schließlich ist Oelinghausen auch ein Wallfahrtsort. In der Krypta der Kirche befindet sich die „Königin des Sauerlandes“, ein Gnadenbild der Gottesmutter Maria aus dem 13. Jahrhundert. Dazu kommen die Kirche und der besondere Klang der Springladen-Orgel. Die alte Substanz wird hörbar, und man kann es deshalb so ausdrücken: Etwas Materielles erschafft Immaterielles. Dieses Ambiente – Landschaft, Ort und die Orgel – verschmelzen zu einer Erfahrung, die etwas Besonderes ist und im Gedächtnis bleibt. Denn Orgelkonzerte finden ja auch woanders statt, aber selten in einer solch bemerkenswerten Umgebung, wo der Genius Loci und die Aura des Orts zu einer spirituellen Erfahrung werden können. Das passiert in Oelinghausen in einer Weise, dass sich dieses einzigartige Musik-Erleben wie gefrorene Zeit anfühlt; dass ich als Zuhörer dahin komme und vergesse, in welchem Kontext ich bin. Das habe ich in Oelinghausen oft erlebt und das fasziniert mich immer wieder aufs Neue.
Was haben Sie sich für die „Musica Sacra“-Reihe für 2025 ausgedacht? Worauf dürfen die Konzertbesucher sich dieses Jahr freuen?
Zwei Dinge sind für mich maßgeblich: Ich denke auch beim Orgelspiel oft vokal. Deshalb möchte ich in diesem Jahr zusätzlich zur Orgelmusik Vokalensembles engagieren, die als Multiplikatoren weitere Menschen ansprechen: neues Publikum, das vielleicht nicht in ein genuines Orgelkonzert gehen würde und auf diese Weise mit der Oelinghauser Orgelreihe in Kontakt kommt. Denn ich merke: Das Publikum hat sich über die Jahre verändert und leider auch dezimiert. Es geht einfach immer wieder darum, diese Konzertreihe nicht nur fortzuführen, sondern sie neu zu erfinden und mit neuem Leben zu füllen.
Was steht nun für 2025 genau auf dem Programm? Was können Sie uns darüber erzählen?
Die Reihe beginnt immer an Pfingstsonntag. Dieses Jahr möchte ich mit meinem kleinen Kammerchor, der Klostercantorey Oelinghausen, die ich zu Beginn meiner Tätigkeit ins Leben gerufen habe, starten. An der Orgel wird Friedhelm Flamme spielen. Das zweite Konzert findet am Pfingstmontag statt, hier geht es dann explizit um Musikvermittlung: „Auf den Spuren der Oelinghauser Orgeln“. Dabei wird es eine Führung durch die Orgelgeschichte geben. Diese wird moderiert von Marlene Kraft aus dem Freundeskreis Oelinghausen, die sich mit anderen ebenfalls über viele Jahre um die Orgelreihe gekümmert hat. Sie wird die Texte vortragen und zeigen, wo Spuren vormaliger Orgeln im Raum sichtbar sind. Passend dazu spiele ich Orgelmusik aus den unterschiedlichen Epochen, so dass man erleben kann, wie es damals jeweils geklungen haben könnte. Wahrscheinlich bringe ich dann auch mein kleines Portativ mit. Danach steht das Patronatsfest auf dem Programm. Am 28. Juni, dem Vorabend des Festes Peter und Paul, wird es ein Konzert von Beatrice-Maria und Gerhard Weinberger mit Musik zu vier Händen und Füßen geben; es singt das Vokalensemble Canteremo unter der Leitung von Gerd Weimar. In den Sommerferien pausieren wir.
Wird es im Herbst auch nochmals Konzerte geben?
Am 6. September wird Sietze de Vries aus Groningen an der Orgel zu hören sein. Er ist ein ganz fantastischer Orgel-Improvisator, der sich vor allem im Genfer Psalter zu Hause fühlt. Ich durfte Konzerte von ihm erleben, die mich zutiefst beglückt haben. Ich bin begeistert von ihm und es freut mich, dass er zugesagt hat. Wir hatten ihn vor einiger Zeit bereits zu Konzerten und Kursen im Erzbistum Paderborn eingeladen. So gibt es oft viele persönliche Kontakte; es ist eine Szene, in der man sich kennt. Das ist schön, und es ermöglicht natürlich auch einiges für die „Musica Sacra“-Reihe.
Wie und wann endet das „Musica Sacra“- Jahr in Oelinghausen?
Das diesjährige Programm schließt mit einer Orgel-Exkursion im Rahmen der Internationalen Orgelwoche im Erzbistum Paderborn, und da ist Oelinghausen natürlich auch dabei. Am 4. Oktober wird Sebastian Freitag zu Gast sein. Er stammt aus Paderborn und ist Domorganist an der Dresdener Hofkirche. Als Organist der berühmten Silbermann-Orgel ist er mit historischen Instrumenten bestens vertraut. Dies ist dann das Abschlusskonzert. Alles spielt sich bei uns also zwischen Pfingsten und Anfang Oktober ab. Anschließend gehen wir in die Winterpause und sammeln Ideen für „Musica Sacra Oelinghausen“ 2026.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Krutmann
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von organ