Orgelmusik berührt. Wenn Luft in die Pfeifen strömt und sie so zum Tönen bringt, dann macht das etwas mit uns Menschen. Und mit dem Raum. Das hat auch der junge Berthold Brecht hier in Augsburg so empfunden. In seinem Gedicht „Die Orgel“ beschreibt er es: „Wenn der preisende Orgelton aufschwillt, dunkelt der Raum / Schweben die Decken lautlos empor, werden gläsern die Wände und weisen das dunkle Land: / Erde. Meer. Äcker. Wälder. Darüber ein endloser Himmel gespannt. / Blau wölbt sich über Erde und Meer der Traum.“
Diese Wirkung entfaltet die Orgel nicht nur in den Kirchen, sondern auch in Konzerten und Theatervorstellungen – die Orgel verbindet Raum und Klang, sie geht durch Mark und Bein.
Ich hatte das Glück und das Vergnügen, das ziemlich früh in meinem Leben zu spüren. Mein Großvater war Lehrer, Organist und Kirchenmusiker. Die Klänge der Gabler-Orgel in der Klosterkirche St. Georg in Ochsenhausen waren himmlisch. Als Kind wirkten diese riesigen Instrumente ja noch gewaltiger, als sie ohnehin schon sind, fast unendlich hoch. Und die Töne erst – der Körper bebte. Bis heute übt die Orgel eine echte Faszination auf mich aus.
Allein in Deutschland gibt es etwa 50.000 dieser atemberaubenden Instrumente. Und dass es dabei nicht auf die Ausmaße des Instruments ankommt, das beweist die Maerzorgel hier im Augsburger Dom. Als eine der kleinsten Domorgeln Deutschlands beeindruckt sie trotzdem mit vollem Klang, wie wir heute hören können.
Der Reichtum der Orgellandschaft in unserem Land verpflichtet uns aber auch. Wenn die Orgel eine Zukunft haben soll, dann müssen erstens all diese großartigen Instrumente immer wieder gewartet und restauriert werden. Der Unterhalt der Königin der Instrumente ist kostspielig, wie für jede Königin. Gut, dass sie uns immer wieder mit ihrem unnachahmlichen, einmaligen Klang dafür entschädigt.
Und zweitens müssen Orgeln natürlich auch gespielt werden. Der Nachwuchs fehlt an vielen Orten und damit kommt die Frage, wie die kirchenmusikalische Arbeit, die Begleitung der Gottesdienste weiter sichergestellt werden kann. Ich weiß, dass es hier Initiativen der Kirchen gibt, dass sich der Deutsche Musikrat für diese Thematik unter anderem im Arbeitskreis Kirchenmusik unter der Leitung von Prof. Christian Höppner einsetzt − aber der Mangel an Kirchmusiker:innen dürfte in den kommenden Jahren noch zunehmen.
Man wird deshalb auch unkonventionelle Wege prüfen müssen, zum Beispiel die Digitalisierung in der Steuerung von Orgeln. Und drittens muss sich auch das Repertoire weiterentwickeln. Wir lieben alle Bach und Händel oder auch die Orgelsymphonie von Saint-Saens. Aber Orgelmusik muss ein lebendiges Repertoire bleiben, sie muss die Herausforderungen und Erfahrungen der Zeit und ihrer Menschen aufnehmen.
Es war deshalb eine wunderbare Idee, aus Anlass des Jahres der Orgel ein Buch mit neuen Orgelkompositionen herauszubringen, das bundesweit verbreitet wird. Einen herzlichen Dank an den Deutschen Musikrat für die Idee und die Aufträge und an die evangelische und katholische Kirche für die Mitfinanzierung. Ich finde es wichtig und richtig, dass im Engagement für die Orgel hier die beiden großen Religionsgemeinschaften zusammenwirken, so wie es mit diesem Konzert im katholischen Dom und im zweiten Teil dann in der evangelischen St. Anna Kirche zum Ausdruck kommt. Und ich freue mich natürlich, dass auch mein Haus mit Mitteln aus NEUSTART KULTUR einen Teil dazu beitragen konnte.
In den Zeiten von Corona war nicht nur der Besuch von Kirchen eingeschränkt, es war auch das Singen der Gemeinde und von Chören zeitweilig verboten und später nur unter ganz strengen Regeln möglich. Der „Atem“ einer Orgel kann – Gott sei Dank − keine Viren verbreiten.
Und so war ihre Stimme, die Stimme der Orgel, auch in der Stille vielfach der einzige Begleiter der Spiritualität, der religiösen Einkehr und Besinnung. Ich bin gespannt, wie viel sich von diesen Pandemie-Erfahrungen in den 17 Kompositionen mitteilt.
Und ich hoffe natürlich sehr, dass möglichst viele der Auftragskompositionen in den kirchenmusikalischen Alltag einfließen. Vielen Dank an die beteiligten Komponistinnen und Komponisten für Ihre Werke und natürlich auch an die heute Konzertierenden an den Orgeln.
Sie zeigen die Möglichkeiten dieses tollen Instruments, Sie geben der Orgelmusik ein Gesicht und ihren Sound − und damit auch eine Zukunft!
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Pressestelle der Bundesregierung für Kultur und Medien