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Klangraum Kirche
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23.05.2022
Menden

Analyse des Choralbuches von Dr. Franz Dameris mit besonderem Blick auf die Entwicklung des Gregorianischen Chorals in der Liturgie

Die Facharbeit von Julius Klein befasst sich mit der Gregorianik als kirchenmusikalische Gestaltung selbst und insbesondere als liturgische Untermalung, um Antworten auf die Fragen zu geben, welche Rolle der Gregorianische Choral überhaupt noch in der heutigen, modernen Kirche spielt.

Inhaltsverzeichnis

1       Vorwort 2

2       Quellenanalyse des Choralbuches von Franz Dameris. 2

2.1        Historischer Hintergrund der Gregorianik. 2

2.2        Das Leben und Wirken von Franz Dameris. 4

2.3        Intention und Hintergrund der Entstehung des Werkes. 5

2.4        Aufbau und Struktur des Choralbuches. 5

3       Liturgische Einordnung des Choralbuches. 9

3.1        Zeitgeschichtliche Relevanz. 9

3.2        Einordnung in die heutige Liturgie. 10

4       Fazit 11

Literaturverzeichnis. 12

Inhaltsverzeichnis des Choralbuches. 13

Eigenständigkeitserklärung. 14

 

 

 

1        Vorwort

Ich will den Namen Gottes loben mit einem Lied und will ihn hoch ehren mit Dank.
– Schon seit Tausenden von Jahren finden dieser Psalm und auch viele andere biblische Verse Verwendung in der kirchlichen Liturgie und sind teilweise bis heute fester Bestandteil von liturgischen Feierlichkeiten. Vor allem der Gregorianische Choral greift solche Bibelstellen auf und stellt diese mit der Musik in Verbindung.

In der folgenden Arbeit möchte ich mich mit der Gregorianik als kirchenmusikalische Gestaltung selbst und insbesondere als liturgische Untermalung  befassen, um Antworten auf die Fragen zu geben, welche Rolle der Gregorianische Choral überhaupt noch spielt in der heutigen, modernen Kirche, und auch wie sich diese Rolle des Gregorianischen Chorals innerhalb der letzten Jahrzehnte, vor allem in Bezug auf das Zweite Vatikanische Konzil und die damit verbundenen liturgischen Neuerungen, verändert hat.

Einerseits möchte ich mithilfe von Fachlektüre das Thema des Gregorianischen Chorals aus einer rein formellen, historischen Perspektive auffächern und beschreiben, andererseits soll ein Hauptaugenmerk auf die oben bereits erwähnte Verbindung zwischen Musik und Kirchenliturgie gelegt werden.

Dazu passend dient ein vom Mendener Künstler Franz Dameris verfasstes und bis heute erhaltenes Choralbuch, sowohl als analysierbare Quelle hinsichtlich einzelner Choräle und Strukturen des Buches, als auch als historischer Ansatzpunkt, um den damaligen Ablauf von Liturgie und Gesang besser nachvollziehen zu können.

Anlass für das obige Vorhaben war ein reges privates Interesse an der Erschließung des Choralbuches und an geistlicher Musik im Allgemeinen, da einerseits durch meine eigene Verbindung zur Kirche und damit auch zur Liturgie und andererseits durch die aktive Mitgestaltung der Kirchenmusik eine erste Neugier diesbezüglich entstanden ist, die dann von Christian Rose, hauptamtlicher Kantor der Mendener Kirchengemeinde, durch das Verweisen auf das Choralbuch von Franz Dameris verfestigt und konkretisiert wurde.

 

2        Quellenanalyse des Choralbuches von Franz Dameris

2.1       Historischer Hintergrund der Gregorianik[1]

Um die Analyse des Choralbuches und die damit verbundenen Themenkomplexe besser verstehen zu können, folgt nun eine zeitgeschichtliche Zusammenfassung der Entstehung des Gregorianischen Chorals.

Grundsätzlich ist der Gregorianische Choral ein einstimmiger, liturgischer Gesang, verfasst in lateinischer Sprache und gilt als Grundstein einheitlicher geistlicher und notierter Gesangsmusik.

Obwohl auch vorher schon einzelne, voneinander unabhängige Gesangsstile gebräuchlich waren, wurde erst durch den für die Gregorianik namensgebenden Papst Gregor den Großen (* um 540 in Rom; † 12. März 604 in Rom) um das Jahr 600 eine Vereinheitlichung und Zentralisierungsbestrebung der Kirchenmusik vorgenommen.

Dies geschah vor allem durch eine Anregung seinerseits der damaligen Mitchristen, die zuvor teilweise bereits entstandenen Melodien und Texte zu ordnen und neue Werke zu verfassen. Papst Gregor war hier vermutlich nur überwachende Instanz und weniger aktiv Mitwirkender. Er sorgte so dennoch für eine völlige Neustrukturierung und erstmals wurde durch Registrierungen neuer Gesänge, Ausscheiden überflüssiger und doppelter Choräle und, wenn benötigt, auch mithilfe von Neuschöpfungen ein Gottesdienst umfassendes Repertoire geschaffen, das sowohl für alle Teile einer Messe als auch für den gesamten Jahreskreis anwendbar war.

Zusätzlich lies Papst Gregor das Antiphonale als eine Art Sammlung aller zur damaligen Zeit aufgeführten Choräle anfertigen, welches dann vor allem von der sogenannten Schola Cantorum, ebenfalls einberufen von Papst Gregor selbst, musikalisch erarbeitet und vorgetragen wurde. Im Jahr 625 vervielfachten sich dann die Gründungen ähnlicher Schulen, vor allem in England, Frankreich und auch in Deutschland.

Trotz der augenscheinlichen Simplizität von Form und Aufbau des Gregorianischen Chorals gibt es vor allem bezüglich der Notation Entwicklungen, die deutlich komplexer sind. So existierte in den Grundzügen der Gregorianik die Neumenschrift, die weder Hilfslinien zur annähernden Tonbestimmung noch einen fixierbaren Rhythmus besaß. Einzig und allein durch die Art des aufgeschriebenen Textes erhielt der unerfahrene Leser eine grobe Vorstellung davon, wie der Choral rhythmisch wiederzugeben war. Für versierte Sänger – beispielsweise die einer Schola – war es jedoch ein Leichtes, die Notizen zu entziffern, und so dienten bereits diese primitiven Schriftstücke vielen als nützliche Hilfestellungstellung. Guido von Arezzo etablierte dann schließlich um das Jahr 1000 herum ein erstes Notensystem, welches dann zwei Jahrhunderte später zur Quadratnotation umfunktioniert wurde. Diese Form der Notation findet auch heute noch in der katholischen Kirche Anwendung, wenn es um das Lesen und Aufschreiben von traditionellem Gregorianischen Choral geht.[2]

 

 

2.2       Das Leben und Wirken von Franz Dameris

Bevor ich mich dem eigentlichen Kernaspekt dieser Facharbeit widme, möchte ich näher auf den Verfasser des Choralbuches eingehen, um eine personelle und geschichtlich nachvollziehbare Grundlage zu schaffen.

Franz Dameris wurde am 14. November 1902 in Schmallenberg geboren. Nach Übersiedlung der Familie nach Menden machte er 1922 am Walram-Gymnasium sein Abitur. Er studierte an der Universität Bonn Kunstgeschichte und Philosophie und anschließend in Paderborn Theologie. Aufgrund seiner künstlerischen Begabung bildete er sich neben seinem Studium zum Kunstmaler aus. Diesem Beruf widmete er sich dann in der Folgezeit. Zahlreiche Kirchen in Menden und Umgebung, im Ruhrgebiet und im Magdeburger Raum wurden von ihm im Laufe der Jahrzehnte künstlerisch gestaltet.

Bekannt wurde Dr. Dameris auch durch detailgetreue Kopien mittelalterlicher Bildtafeln und Schongauers „Madonna im Rosenhag“, die er der Mendener St. Vincenz-Kirchengemeinde vermachte. Zu seinen Werken zählt auch die Kopie der „Beweinung Christi“ des Meisters von Avignon, die er für die Kapelle des katholischen Friedhofs in Menden schuf.

Der besondere Verdienst des heimatverbundenen Künstlers Dr. Dameris liegt darin, dass er vielen Mendenern die Augen öffnete für die Schönheit der vielen Kunstwerke in Menden.[3] – Diese und viele weitere positiv konnotierten Aussagen wurden bezüglich Franz Dameris gesamtem Leben und Wirken getätigt und konnten so seinen guten Ruf, den er, vor allem wenn es um Menden und die Wertschätzung der Heimat ging, erlangt hatte, festigen.

Zudem setzte er sich mit persönlichem Einsatz für den Erhalt und die Restaurierung zahlreicher Bau- und Kunstdenkmale ein. Die Stadt Menden ehrte ihn 1982 mit der Verleihung des Kunstpreises. Als Naturfreund und Bewunderer der sauerländischen Landschaft war er einer der ersten, der die Bedeutung des Umweltschutzes erkannte. Sein Engagement für die Erhaltung der Schöpfung und sein Widerstand gegen Waldzerstörung und Flächensanierung wurde mit der Verleihung der Umweltschutzmedaille 1977 in Köln gewürdigt.

Zeit seines Lebens war Franz Dameris auch musikalisch sehr engagiert und aktiv. Vor allem hinsichtlich der Kirchenmusik versuchte er sowohl qualitativ als auch quantitativ ein produktives Gemeindemitglied zu sein und prägte deshalb materialistisch gesehen die Institution Kirche in Menden an sich, aber vor allen Dingen auch das Gedächtnis vieler Menschen jeder Altersgruppe.

Um das Jahr 1950 herum entstanden dann aus diesem Grund auch die ersten Blätter des vorliegenden Choralbuches, das durch Dameris selbst nach und nach den heutigen Umfang erhielt. In diesem Choralbuch sind die wichtigsten Schöpfungen des gregorianischen Chorals in kunstvoller Schrift und tausende von handgemalten Noten mit darstellenden Ornamenten enthalten.[4]Singet dem Herrn ein Neues Lied![5] – Unter diese Überschrift könnte man das vorliegende Choralbuch einordnen, ein Werk des Philosophen und Kunstmalers Dr. Franz Dameris.

Er verstarb am 7. März 1991 in Menden.

 

2.3       Intention und Hintergrund der Entstehung des Werkes

Man kann festhalten, dass Franz Dameris zu Lebzeiten und als aktives Mitglied der Mendener Kirchengemeinde einen tiefen und guten Bezug zu jungen Menschen pflegte, den er nach und nach durch die verschiedensten, extra für Jugendliche spezifizierten Angebote immer weiter ausbaute.

Eines dieser Angebote war kirchenmusikalischer Art, und zwar die Etablierung einer eigenen Schola in der Mendener Kirchengemeinde. Da dies kurz nach dem zweiten Weltkrieg geschah und deshalb die finanziellen Möglichkeiten bei den meisten Menschen äußerst gering ausfielen, kam Dameris auf die Idee, das vorliegende Choralbuch und damit eine Möglichkeit des gemeinsamen Singens zu kreieren. Die Idee setzte er dann auch alsbald innerhalb der Gruppierung „Neudeutschland“[6] in Form von der Choralschola der St. Vincenz-Kirchengemeinde in die Tat um. Diese Schola hat sich bis heute gehalten und behält durch das Praktizieren und Singen der Choräle des Buches eine langjährige Tradition aufrecht.

Hauptintention von Dameris war es, den damaligen Jugendlichen seine Begeisterung für den Gregorianischen Choral näherzubringen und im Allgemeinen bei ihnen die Freude am gemeinsamen Singen zu wecken. Anstelle vom reinen Abschreiben der Choräle und einer dadurch verbundenen tristen Sammlung schuf er deshalb auch ein vollkommenes und aufwendiges Kunstwerk, das vor allem für die jungen Leute wesentlich reizvoller und interessanter gewirkt haben mag.

 

2.4       Aufbau und Struktur des Choralbuches

Das von Franz Dameris verfasste Werk fällt, wie in vorherigen Kapiteln bereits angerissen, unter die Gattung der Choralbücher. Einerseits handelt es sich hierbei um eine teilweise schriftliche Quelle, da die äußere Form des Buches und vor allem die Texte der einzelnen Choräle mit ihren künstlerisch aufgewerteten Nebenbemerkungen als analysierbar gelten können. Andererseits sind durch die zahlreichen Bilder und künstlerischen Ausschmückungen Merkmale einer nicht schriftlichen Quelle gegeben; hier ist die Analyse der Kunststruktur möglich. Man spricht bei diesem Werk von einer Primärquelle, dementsprechend wurden die originalen, von Franz Dameris geschaffenen Seiten, größtenteils unverändert an die Mendener Kirchengemeinde weitergegeben. Auch wenn die verfassten Choralsätze ursprünglich nur für den privaten Gebrauch und für das gemeinsame Singen gedacht waren, konnte jeder, der kirchlich aktiv war und Interesse pflegte, Einblicke in das Buch erhalten, da eine Verbreitung von kirchlich musikalischen und künstlerischen Aspekten genau das Ziel war, das Dameris beim Schaffen dieser Seiten hatte. Hinsichtlich dieser obigen Intention wird auch schnell deutlich, dass der Großteil des Buches ein Selbsterzeugnis von Franz Dameris ist. Nur Einleitung und einige letzte Seiten entstammen nicht der Feder des Mendener Künstlers.[7]

Die Ausmaße des Werkes belaufen sich auf 63 Zentimeter längsseits, 47,5 Zentimeter im zugeklappten Zustand in der Breite und 3,5 Zentimeter in der Höhe. Der Einband ist massiv, im Ganzen etwa 1 Zentimeter dick und, zumindest von außen, bordeaux rot beledert. Es gibt keinerlei künstlerische Verzierungen oder sonst irgendwelche anderen Betitelungen, Beschreibungen und anderweitige Schriftzeichen. Nur ein Großes, ebenfalls in das rote Leder eingefasstes Kreuz ist auf der Vorderseite des Choralbuches deutlich erkennbar. Zum Schutz halten zwei metallische Schnallen das gesamte Buch geschlossen.

Das Werk beinhaltet rein formell betrachtet 74 beidseitig beschriebene Kartonseiten, wobei nur 72 davon originale, von Dameris selbst beschriebene und künstlerisch aufbereitete Buchseiten sind.

Unter der Überschrift „Cantate Dominum Canticum Novum“ ist auf der ersten Seite, die weder handschriftlich noch von Franz Dameris selbst verfasst wurde, eine kurze Biografie des Mendener Künstlers lesbar. Neben allgemeinen Informationen zu seinem Leben und Wirken[8] geht der hier namentlich unbenannte Verfasser dieser Seite auch auf für das Buch spezifische und relevante Dinge ein.

Bereits auf der nächsten Seite beginnt dann die Arbeit von Franz Dameris. Außer den Chorälen selbst mit ihren farbenfrohen Ausschmückungen und den zahlreichen Bildern und Motiven gibt es keinerlei verschriftlichten Inhalt, der darauf Aufschluss geben könnte, in welchem Bereich der Liturgie man sich chronologisch gesehen befindet. Einzig und allein die auf Latein verfassten Worte und Buchstaben, die teilweise in den Bildern auftauchen, und der lateinische Text der Choräle können dem versierten Leser zeigen, worum es in Bezug auf die Liturgie inhaltlich geht.

Zur Formalität der Choralsätze sei gesagt, dass sich eine einzelne und gleichbleibende Struktur der Notation durch das gesamte Buch zieht und dass diese auf einer simplen und leicht zu lesenden Form der Choralnotation, nämlich der Quadratnotation[9] beruht. Diese etablierte Notenschrift hat, daher auch der Name, quadratisch geformte Notenzeichen, und als melodischen Rahmen vier Notenlinien je Zeile. Als Notenschlüssel fungiert in diesem Fall der in der Gregorianik typische C-Schlüssel, der im Choralbuch aufgrund seiner freien Verschiebbarkeit innerhalb der Notenlinien verschiedenste Linien einfasst und so immer neu angibt, an welcher Stelle im Notensystem sich der eingefasste Ton C befindet. Taktstriche, zusätzliche Hilfslinien, Verzierungen und Vorzeichen aller Art finden ebenfalls Verwendung in den einzelnen Choralsätzen.

Die Choräle und Kunstwerke der ersten zehn Seiten des Choralbuches behandeln ausschließlich das Ordinarium der Liturgie, also den Teil im christlichen Gottesdienst, der immer wiederkehrend und regelmäßig abläuft. So lässt sich dem textlichen Inhalt der ersten notierten Choräle das Kyrie, das Gloria, das Credo, das Sanctus und das Agnus Dei und somit ein vollständiges Ordinarium Missae entnehmen. Auch wenn diese Reihenfolge zwischenzeitlich leicht abgewandelt wurde, um so eine passendere Choralstruktur schaffen zu können, ist das oben erwähnte Ordinarium sowohl textlich als auch strukturell deutlich erkennbar.

Die nächste Seite wird dann dominiert von einem einzelnen, großflächigen Bild, das künstlerisch den nächsten Liturgieteil einleitet, nämlich das Propium und das katholische Kirchenjahr. Dameris hat in diesem Teil ein umfassendes Repertoire an Chorälen niedergeschrieben und greift nahezu alle mehr oder weniger essenziellen kirchlichen Feierlichkeiten, Elemente und Zeiten auf.

Beginnend mit Choralsätzen, die thematisch zur Adventszeit („adventus“) passen, folgen Choräle zur Weihnachtszeit („missa in nocte“, „missa in aurora“), zu Ostern („dominica resurrectionis“, „feria secunda post Pascha“, feria quarta post Pascha“), zu Christi Himmelfahrt („in ascensione domini“), zu Pfingsten („dominica pentecostes“, „missa de spirito sancto“) und zum Kirchenfest Fronleichnam („in festo sanctissimi corpore“).

Folgt man dem chronologischen Verlauf des Choralbuches, beziehen sich die von Dameris als Nächstes eingefügten Choralsätze auf einzelne Heilige und andere zeitgeschichtlich für den christlichen Glauben bedeutende Personen. Dameris beginnt mit dem Johannistag für die Glaubensperson Johannes den Täufer („in nativitate s. joannis baptistae“) und behandelt danach musikalisch und inhaltlich sehr detailiert die Heilige Jungfrau Maria und damit das Fest Mariae Himmelfahrt („in assumptione beatae mariae virginis“). Weiterhin kommen als Autoritätspersonen in den Chorälen und auch in den Kunstwerken der Heilige Michael mit dem Fest St. Michaelis („in dedicatione sancti michaelis“) und der Heilige Franziskus („sancti francisci“) vor.

Nach zwei ausschließlich der katholischen Kirche zuordnungsbaren Werken („in dedicatione ecclesiae“, „missa pro sponso et sponsa“), beginnt dann liturgisch betrachtet das nächste große Oberthema, die Vespern („dominica ad vesperas“), also die musikalisch detailreich untermalten Abendgebete im Christentum. Neben den üblichen Choralsätzen finden erstmals auch (reine) Textabschnitte Verwendung im Buch, die passend zu der jeweiligen Vesper in Form von lateinischen Gebeten und sakralen Texten zwischen den Chorälen strukturiert notiert sind. Diese Strukturierung fußt auf einzelnen, teilweise über den Buchstaben subtil niedergeschriebenen Betonungshilfen, die der einzige Hinweis darauf sind, dass die Texte nicht stumpf abgelesen werden sollen, sondern, wie auch die Choräle selbst, kunstvoll und singend vorgetragen werden sollten. Konkret sind diese oben genannten Phrasierungen Apostrophe über Buchstaben, aber zum Teil auch der Quadratnotation ähnelnde „Notenbündel“, immer bestehend aus jeweils drei zusammengehörenden Noten.

Übereinstimmend mit der Chronologie der katholischen Liturgie widmet sich Dameris nach den Vespern den Nachtgebeten der Christen, den Kompleten („ad completorium“). Außer den spezifischen inhaltlichen Änderungen gleicht sich die Struktur und der Aufbau dieses Teils dem der Vespern (s.o.).

Der letzte Teil des Choralbuches befasst sich schließlich mit der Totenmesse – auch Sterbeamt oder Seelenamt genannt –, dem Requiem („missa pro defunctis“). Diese Buchseiten sind keine Originalen mehr, da letztere einem Feuer zum Opfer gefallen sind, sondern wurden von Dr. Hubert Luig im Sinne Dameris neu geschaffen und dem Choralbuch nachträglich wieder beigefügt. Das Aussehen und der künstlerische Stil des Requiem-Kapitels im Buch ist aber nahezu identisch zu den originalen Teilen von Dameris. Lediglich ein Siegel auf jeder nachträglich eingefügten Kartonseite und der weniger gealterte Zustand geben Offensichtliche Hinweise darauf, dass es sich um ein Abbild der Originalen handelt; Luig hat sich äußerst penibel an den noch vorhandenen Seiten und an Fotos der originalen Seiten der Totenmesse orientiert.

 

3        Liturgische Einordnung des Choralbuches

3.1       Zeitgeschichtliche Relevanz

Um verstehen zu können, was genau Anlass dieses Werkes war, muss man sich nicht nur die persönlichen Ansätze und Intentionen von Dameris selbst anschauen, sondern auch die Zeit, in der das Choralbuch geschaffen wurde. Ausschlaggebend waren nämlich epochal bedeutsame kirchliche und damit verbunden auch liturgische Merkmale.

Das Choralbuch wurde Mitte der 1950er Jahre vollendet und fällt damit in das Stadium einige Jahre vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil.[10] Letzteres etablierte grundlegende und tiefgreifende Veränderungen in der kirchlichen Liturgie und schuf damit eine völlig neue Grundlage für den musikalischen Bereich und dessen Bedeutsamkeit und Einsatzgebiet innerhalb von Gottesdiensten. Durch diese Neuerungen war nicht mehr allein die Eucharistie im Zentrum der Messe, vielmehr war nun die gesamte Feier mit all ihren Teilnehmern relevant. Die einfache Gemeinde, sprich die Laien, und damit auch aktiv Mitwirkende, wie beispielsweise Chormitglieder, wurde um ein Vielfaches mehr mit einbezogen und in die Messfeier integriert. So konnte in nachkonziliarer Zeit ein Chor nahezu frei den Gottesdienst mitgestalten und hatte nichtmehr strikte Regeln, wann, was und wie er musikalisch mitzuwirken hatte.

Ganz im Gegensatz zu den Vorzeiten des Zweiten Vatikanischen Konzils, in die auch das Choralbuch von Dameris zeitgeschichtlich einzufügen ist. Aufgrund dessen, dass die Gottesdienste sich in Form und Struktur der Liturgie ausschließlich auf den Geistlichen selbst und die Wandlung fokussierten, war die Gemeinde nur handlungsloser Zuschauer des Geschehens und war lediglich zum tristen Beten versammelt.

Einzig und allein die Musik während des Gottesdienstes konnte dieser „Trostlosigkeit“ entgegenwirken und genau hier kommt ein von einer Schola oder einem Chor vorgetragenes Choralbuch wie das von Dameris ins Spiel. Dies war nämlich vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil die einzige legitime Möglichkeit, die man als Gemeindemitglied in Betracht ziehen konnte, um entweder aktiv als Sänger oder passiv als Zuhörer und Kirchgänger an der Struktur des Gottesdienstes mitwirken zu können und diese vielschichtiger zu gestalten. Denn nur eine liturgisch exakt stimmige und durchgeplante, musikalische Einheit, die ja bei dem Choralbuch von Dameris durchaus gegeben ist, konnte als zulässige Ergänzung der Messe gelten.

Man kann also sagen, dass Dameris durch das Schaffen dieses Choralbuches trotz einer kirchlich gesehen schwierigen Zeit, die auf der klaren Trennung von Klerus und Volk und den damit verbundenen gemeindedistanzierenden Gottesdiensten beruhte, dennoch eine Möglichkeit der aktiven Mitgestaltung für jegliche Gemeindemitglieder schuf.

 

3.2       Einordnung in die heutige Liturgie[11]

Basierend auf eigenen Erkenntnissen, die ich im Laufe der Jahre als aktives Kirchenmitglied vor allem in Bezug auf die Musik in der Liturgie erlangt habe, und mithilfe von passender Literatur möchte ich mich der Frage widmen, inwiefern Gregorianischer Choral und damit auch das Werk und die Benutzung des Choralbuches von Franz Dameris heutzutage noch relevant ist und was sich alles im Laufe der Zeit liturgisch gesehen verändert hat.

Ein liturgischer Wandel hat in jedem Fall stattgefunden, in der heutigen Zeit sogar noch exzessiver und ausgeprägter, durch den gesellschaftlichen Wandel zum einen und die dadurch hervorgerufene, teils zwanghafte Reaktion der katholischen Kirche zum anderen. Die Kirche hat mit der Zeit zu gehen und daraus folgen eben auch fundamentale Veränderungen in der liturgischen Musik.

Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil beispielsweise wurde der Gregorianische Choral nahezu gar nicht thematisiert und selbst von kirchlichen Autoritätspersonen als gemeindeuntauglich angesehen (vgl. S.112 Z.1-13.).  Doch in den letzten Jahrzehnten hat sich der Ruf des Gregorianischen Chorals wieder um ein Vielfaches gebessert und mittlerweile ist er wieder ein etabliertes musikalisches Mittel, weg von der Ansicht, Gregorianischer Choral sei die „Erkennungsmelodie der Ewig-Gestrigen in der katholischen Kirche“ (S.112 Z.15-16).

Dass sich der Gregorianische Choral inzwischen wieder an so großer Beliebtheit erfreut, hat mehrere Gründe. Einerseits spielt hier die Tradition eine bedeutende Rolle und ist entscheidend für das Praktizieren der Choräle, vor allem weil die Kirche eine sehr ausgeprägte Verbundenheit zur Tradition im Allgemeinen pflegt (vgl. S.116 Z.10 ff.). Andererseits haben viele kirchlich verbundene Menschen den Anspruch, die „eminente und elementare Wortbezogenheit für [sie] heute neu existentiell erfahrbar zu machen“ (S. 116 Z.18-19).  Diese Einheit und Verbundenheit von spirituellem, geistlichem und erklingendem Wort beruht auf dem ganz eigenen und für die heutige Zeit ungewöhnlichen Stil des Gregorianischen Chorals, der sich vordergründig durch ein Gesamtgeflecht der Rhetorik, bestehend aus lateinischen Wörtern und Sätzen, auszeichnet. Dieses Zusammenspiel der auf den ersten Blick einfach gesungenen Texte kann sogar bis in die Theologie mit zahlreichen Aussagen und Stellungnahmen hineinreichen (vgl. S.116 Z.24). Als weiteren Grund kann man manifestieren, dass trotz dieser gewissen analysierbaren Tiefe der Gregorianische Choral nie an Simplizität verliert und dass dies in modernen Zeiten der Hektik und des Stresses für viele Menschen, die sich mit der Kirche verbunden fühlen, ein willkommener Kontrast sein kann (vgl. S.117 Z.27 ff.).

Für mich persönlich sind viele dieser oben genannten Gründe tatsächlich erfahrbar gewesen und ich kann sagen, dass sich das Praktizieren des Gregorianischen Chorals von einem Großteil der Gläubigen noch immer gewünscht wird und kirchenmusikalische Angebote diesbezüglich weiterhin dankend angenommen werden. Beruft man sich noch einmal auf das Choralbuch von Franz Dameris und die damit konnotierte Tradition, jährlich aus dem Buch zu singen, wird auch hier schnell klar, dass nicht der Zwang der Tradition und das Gewissen, sondern vielmehr der Wunsch, Menschen mithilfe des Choralbuches eine Freude zu machen, im Vordergrund steht.

 

4        Fazit

Abschließend kann ich sagen, dass die wissenschaftliche und detailreiche Erarbeitung des mir zur Verfügung gestellten Choralbuches eine große Hilfe war, mit der ich besonders auf die der Arbeit vorausgegangenen, ursprünglichen Fragestellungengen treffende Antworten geben konnte.

Wie in vorherigen Kapiteln bereits detailreich aufgefächert und erklärt, kann ich zusammenfassend festhalten, dass Gregorianischer Choral und seine Wirkung immer noch einen ernstzunehmenden Stellenwert in der heutigen katholischen Glaubensgemeinschaft hat und dass sich trotz signifikanter liturgischer und gesellschaftlicher Veränderungen dieser traditionelle Gesang weiterhin bewährt und dass sogar Zeiten, in denen das kirchliche Gesellschaftswesen eine Form der Abneigung und der Akzeptanzlosigkeit gegenüber Gregorianischen Chorälen verspürt hat, jene Tradition nicht vollständig auflösen konnten. Insgesamt ist der Gregorianische Choral ein fortbestehender Teil der Kirche, der gerade mit seinen simplen und fast schon antiken Strukturen und der glaubensnahen Interpretationsmöglichkeit besticht und so eine ganz eigene Ausstrahlung vermittelt.

Das Choralbuch von Dr. Franz Dameris hat mir einerseits bei meiner Arbeit einen ganz persönlichen Bezug gegeben, durch den ich mich viel besser und intensiver mit der Thematik auseinandersetzen konnte und der meine persönlichen Präferenzen mit den fachkenntlichen Fragen in Einklang gebracht hat. Andererseits konnte ich mich mithilfe des Buches dem Gregorianischen Choral, aber auch der kirchlichen Liturgie im Allgemeinen aus einer ganz neuen zeitgeschichtlichen und intentionalen Perspektive annähern und diese für mich neuartigen Hintergründe analysieren.

 

 

Literaturverzeichnis

Dameris, Dr. Franz (ca. 1950). Choralbuch.

Klöckner, S., Blecker, I. M., & Wirtz, H.-G. (2005). Liturgie und Musik. Trier: VzF Deutsches Litrugisches Institut.

Kolneder, W. (1982). Geschichte der Musik (Bd. 11. Auflage). Wilhelmshaven: Florian Noetzel Verlag.

Neudeutschland, in: Historisches Lexikon Bayerns. Abgerufen am 21. Februar 2022 von https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Neudeutschland

Medienreferat, Bischofskonferenz (2022). katholisch.at. Abgerufen am 2. Februar 2022 von https://www.katholisch.at/konzil

 

 

 

Inhaltsverzeichnis des Choralbuches

 

Seitenzahl[12] Titel Übersetzung/ Liturgische Bedeutung
1 Cantate Dominum Canticum Novum Nachträgliches Vorwort;

Verfasser unbekannt

2 Ordinarium „das Regelmäßige“;

Wiederkehrende Teile in der Messe

11 adventus „Ankunft“
18 missa in nocte Christmette
22 missa in aurora Weihnachtsmesse
28 dominica resurrectionis Ostersonntag
35 feria secunda post Pascha Ostermontag
38 feria quarta post Pascha Vierter Sonntag nach Ostern
42 in ascensione domini Christi Himmelfahrt
46 dominica pentecostes Pfingsten
51 missa de spirito sancto Pfingstmesse
54 in festo sanctissimi corpore Fronleichnam
62 in nativitate s. joannis baptistae Johannistag
66 in assumptione beatae mariae virginis Mariä Aufnahme in den Himmel
78 in dedicatione sancti michaelis Heiliger Michael
82 sancti francisci Heiliger Franziskus
86 in dedicatione ecclesiae Proprium vom Kirchweihfest
90 missa pro sponso et sponsa Messe für das Brautpaar
94 dominica ad vesperas Sonntage der Vespern
121 ad completorium Komplet
139 […] 148 missa pro defunctis Totenmesse

 

 

Eigenständigkeitserklärung

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Facharbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel verwendet habe. Insbesondere versichere ich, dass ich die Stellen der Facharbeit, die im Wortlaut oder im wesentlichen Inhalt aus anderen Werken entnommen wurden, mit genauen Quellenangaben kenntlich gemacht habe. Aus dem Internet verwendete Informationen sind dem Fachlehrer nach Absprache im Ausdruck zur Verfügung gestellt worden.

 

 

 

Julius Klein

[1] Die nun folgenden Informationen wurden einem thematisch zur Musikgeschichte passenden literarischen Werk (Kolneder, 1982) entnommen.

[2] Siehe Kapitel 2.4 à Notationsweise von Franz Dameris

[3] Entnommen aus dem einleitenden Wort des Choralbuches

[4] Siehe Kapitel 2.4 für genaue Analyse der Struktur des Buches

[5] Im Choralbuch selbst wird der Lebenslauf von Dameris unter die lateinische Version dieser Überschrift gestellt

[6] „Neudeutschland“ war ein Bund für jugendliche Katholiken, gegründet vom Jesuiten Ludwig Esch SJ (1883-1956) (Historisches Lexikon Bayerns)

[7] Vergleiche Seite 8: Untersuchung des Requiems

[8] Siehe Kapitel 2.2

[9] Näheres zur Notation des Gregorianischen Chorals in Kapitel 2.1

[10] Das Zweite Vatikanische Konzil fand vom 11. Oktober 1962 bis zum 28. Oktober 1965 statt. (Medienreferat, 2022)

[11] Aufgestellte Verweise beziehen sich ein einzelnes literarisches Werk (Klöckner, Blecker, & Wirtz, 2005), folglich werden nur Seiten- und Zeilenkennzeichnungen vorgenommen

[12] Selbst erstellt, keine Nummerierungen im Buch selbst vorhanden