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Klangraum Kirche
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01.09.2022
Bielefeld

Heinrich Schütz zum 350. Todestag

Einige Komponistengedenktage sind in den letzten Jahren in der Musikwelt fast unberücksichtigt geblieben. Man denke nur an den 400. Todestag von Giovanni Gabrieli (2012) oder das Gedenkjahr an Michael Praetorius (2021).

Es hat schon den Anschein, dass auch das diesjährige Schützjubiläum unbemerkt bleibt. Die Bedeutung von Heinrich Schütz erhellt allein schon aus der Tatsache, dass im 19. Jahrhundert von ihm die erste Gesamtausgabe erscheint, noch vor der Gesamtausgabe der Werke von Johann Sebastian Bach. Nach dem ersten Weltkrieg spielte die Wiederentdeckung von Heinrich Schütz anfangs auch eine größere Rolle. Man erkennt es in den Notenbeständen der evangelischen Kantoreien, die oft über einen großen Bestand der Schütz‘schen Werke verfügten. Nach dem zweiten Weltkrieg verfolgte die Schütz-Gesellschaft die zweite Ausgabe des Gesamtwerkes im Bärenreiter-Verlag. Daneben gab es einen Versuch einer Gesamtausgabe im Hänssler-Verlag, die aber nicht über vier Bände hinauskam.

In meinen jungen Jahren zählte das Œuvre  Schützens als Beispiel typischer evangelischer Kirchenmusik. Bach wurde von uns katholischen Kirchenmusikern viel mehr geachtet, was aber für mich persönlich mit seinen zahlreichen und bekannten Orgelwerken zusammenhängt.

Wie schon zur Zeit von Schützens hat sich auch in unseren Köpfen ein Wandel vollzogen. Wir haben in einigen Punkten eine nötige Reife erreicht, wozu die Beschäftigung mit der Aufführungspraxis der Alten Musik in den letzten vierzig Jahren viel beigetragen hat. So war es für mich endlich an der Zeit, sich einem Teil seiner Werke zu widmen.

Die Distanz zwischen katholischer und evangelischer Kirchenmusik spielte in den jungen Jahren Heinrich Schützens überhaupt keine Rolle. Man lernte im siebzehnten Jahrhundert das Handwerk dort, wo die besten Lehrer waren. Die Konfession spielte bei weitem nicht die Rolle, die man heute vermuten würde. So ist Heinrich Schütz natürlich nach Venedig gegangen, um bei (oben bereits erwähntem) Giovanni Gabrieli in die Schule zu gehen. Schütz bedankt sich mit seinem ersten gedruckten Werk, Italienischen Madrigalen (1611).

In unserer Bielefelder St. Jodokus-Kirche war es mein großer Wunsch, Teile des Werkes Heinrich Schützens aufzuführen. Hat uns Corona schon 2021 bei der Aufführung des Werks des Michael Praetorius einen großen Strich durch die Rechnung gemacht, so kam nach den Inzidenzwerten nach Weihnachten 2021 der nächste Schock. Die Einschränkungen im Januar haben mich dazu bewegt, das Programm erst mit der Johannes-Passion in der Karfreitagsliturgie zu starten. Die Schütz‘schen Passionen zählten bei uns schon früher zum festen Bestandteil der Karfreitagsliturgie. Anders als im protestantischen Bielefeld, wäre es in einer katholisch geprägten Gegend früher nicht ohne weiteres möglich gewesen, die Passionen aufzuführen. Die Diasporasituation hat aber viele Schritte erleichtert. So bekommt eine Karfreitagsliturgie dadurch einen ganz anderen Anstrich.

Das überraschende Ereignis war dann aber die Aufführung der Historia der Auferstehung Jesu Christi im Hochamt des Ostermontags. Das Werk dauert etwa 45 Minuten, und es schien mir anfangs für ein Hochamt schon wegen der Länge nicht besonders geeignet. Dazu kam noch hinzu eine sehr ungewöhnliche Besetzung des Werkes: Als Chorleiter ist man bei der Auswahl der Werke immer darauf ausgerichtet, Kompositionen mit einem angemessenen Choranteil zu wählen (sonst bleiben möglicherweise die Sängerinnen und Sänger aus). In der Auferstehungshistoria sind es nur drei (recht kurze, aber bis in die Achtstimmigkeit gehende) Chorteile und – als große Besonderheit – die Besetzung der Solistenteile. Es gibt eigentlich nur einen einzelnen Solisten: den Evangelisten. Alle anderen Personen werden als Duette oder Terzette besetzt. Das war zumindest an einer Stelle unser Glück. Vor der Einspielprobe meldet sich Jesus positiv zum Dienst. Eine kleine, unbemerkte Umstellung hat diesen Wechsel kaum bemerken lassen.

Eigentlich müsste die Auferstehungshistoria, dem Evangelium folgend, am Ostersonntag aufgeführt werden. Die Tradition der Festhochämter am Ostermontag wollte ich aber nicht brechen, und so fand die Aufführung Ostermontag statt. Nach der Lesung und dem Zwischengesang wurde das Werk als eine Einheit aufgeführt. Einen wesentlichen Anteil an der Aufführung haben der grandiose Evangelist Arnd Schulteß und die Instrumentalisten auf historischen Instrumenten gehabt. Die Gottesdienstgemeinde hat sehr beeindruckt die Kirche verlassen und einen neuen Eindruck von der Musik von Heinrich Schützens bekommen.

Das eigentlich erste Konzert mit Werken von Heinrich Schützens fand Mitte Mai mit der Aufführung der Geistlichen Chormusik 1648 statt. Das Werk, das zum Ende des Dreißigjährigen Krieges von Schütz in den Druck gegeben worden ist, gewinnt in diesem Jahr durch den Krieg in der Ukraine eine besondere Bedeutung. Es ist eine Sammlung von Motetten (darunter das „Verleih und Frieden“), die Heinrich Schütz über einen längeren Zeitraum zusammengetragen hat. Beginnend mit fünfstimmigen Werken, endet es mit der siebenstimmigen Motette „Du Schalksknecht“ für eine Tenorstimme und sechs obligate tiefe Instrumente. Einige Werke der Geistlichen Chormusik zählten zum Repertoire der Chöre, inzwischen werden diese Stücke kaum noch in den Chören gesungen.

Für das zweite Halbjahr stehen noch vier größere Konzerte an. Es beginnt Ende September mit den Sinfoniae sacrae III, der 1650 erschienenen Sammlung mit deutschen geistlichen Konzerten. Während die Besetzung in den Vokalstimmen in den ersten Konzerten noch recht übersichtlich ist, nimmt es mit jedem weiteren Werk an der Besetzungsdichte zu, die bis zu einer großangelegten Dreichörigkeit führt. Dabei war Schütz gar nicht die schöne Melodie oder erst recht nicht die schöne Stimme der Aufführenden wichtig, sondern einzig und allein der biblische Text und seine musikalische Deutung. Das schönste Beispiel aus den Sinfoniae sacrae mag das „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ sein (Johannes Brahms hat dieses Werk im 19. Jahrhundert dem Wiener Publikum vorgelegt). Diese Haltung hat Schütz geprägt und findet in Deutschland mit Johann Sebastian Bach nach knapp einhundert Jahren einen weiteren Meister. Diese Einstellung zum (biblischen) Text ist bei den Komponisten der nachfolgenden Generationen immer weniger zu finden.

Das zweite Konzert des Herbstes werden die Psalmen Davids sein. Es ist eine frühe Sammlung Schützens, sein Opus 2, die im Jahre 1619 erschien und einen neuen Abschnitt in seinem Leben markierte (am Tag der Veröffentlichung des Werkes heiratete Schütz). Es sind nach den Italienischen Madrigalen wieder Kompositionen, die einen deutlichen Bezug zu seinem italienischen Ursprung haben. Wir kennen aus der kompositorischen Praxis des 19. Jahrhunderts, dass jeder Komponist, der etwas von sich hielt, eine Symphonie geschrieben haben musste (der Wunsch ist bei Max Reger nicht in Erfüllung gegangen). In der Venezianischen Chorpraxis war es das „Dixit Dominus“, der erste Psalm der Vesper. In Deutschland kennt man das sportliche „Dixit“ von Georg Friedrich Händel, aber auch die „Dixit“- Vertonungen in den Vespern von Mozart. Aus dem „Dixit“ wird dann bei Schütz das „Der Herr sprach zu meinem Herrn“ als dem ersten Psalm der Sammlung. In der Anlage sind die einzelnen Psalmen sehr an die italienischen Mehrchörigkeit angelehnt.

Die schwierigen politischen und wirtschaftlichen Zeiten sind oft eine inspiratorische Quelle in der Musik. Wenn man nur bedenkt, dass Schütz ein Drittel seines Lebens durch den Dreißigjährigen Krieg geprägt war, wundert man sich über die Fülle der guten Musik. Dazu gehören auch viele Trauermusiken, die bei Schütz ihren Gipfel in den Musikalischen Exequien haben. In dem Konzert am Totensonntag kommen noch entsprechende freie Kompositionen dazu.

Am zweiten Weihnachtstag war der Vormittag in der St. Jodokus-Kirche immer einer großen Messvertonung vorbehalten. Diese Tradition wird in diesem Jahr genauso wie am Ostermontag gebrochen. Im Gottesdienst wird die Historia der Geburt Jesu Christi in die Liturgie eingebunden. Mit diesem „Weihnachtsoratorium“ wird das Schützjahr zu Ende gehen und uns hoffentlich einen wichtigen Teil der Kirchenmusik in Deutschland erschlossen haben.

Georg Gusia